Dass nicht erst die Zukunft, sondern schon die Gegenwart von „autonomen Betriebssystemen“ zunehmend ruiniert wird, wissen wir durch wild gewordene Jalousien und gern verdrängte, leider immer wieder auftauchende Berichte von Unfällen selbstfahrender Autos. Auch in schlimmsten Fällen hört man von KI-Idioten trotzdem oft noch das Mantra, die Maschine sei halt noch nicht ganz ausgereift, werde aber irgendwann Perfektion erlangen.
Besser wird manches schon im Jahr 2033 funktionieren, zumindest in Alexander Schimmelbuschs dann spielendem Roman „Karma“. Interessanterweise heißen in dieser fiktiven Zukunft Betriebssysteme nicht mehr Siri oder Alexa – sondern Dieter.
Made in Germany
Dieter steuert die Smarthomes in einer brandenburgischen Wohnsiedlung für Führungskräfte eines deutschen Softwarekonzerns. „Dieter war mit der Fähigkeit ausgestattet, die Interaktion von Schatten, Wind und Wasser zu choreographieren, um die atmosphärischen Bedingungen in jedem Bungalow den Parametern des persönlichen Wohlbefindens der Bewohner anzupassen, auf Basis einer Chakrenfluss-, Körpersprachen-, Stimmlagen-, Schnarchklangfarben-, Blinzelfrequenz-, Tippkadenz-, Abdominalsonar-, Urin- und Stuhlanalyse.“
Und das ist noch nicht alles. Dieter kann nicht nur durch das Bespielen einer Klaviatur aus Lüftungsmechanismen und Geothermie-Heizungen die Folgen des Klimawandels für die Menschen abmildern und ihr Leben viel angenehmer machen (ein komischer Höhepunkt des Buches ist die Beschreibung einer sehr verfeinerten Duschtoilette, die er steuert, um jeden Stuhlgang in ein „holistisches Power-Sabbatical“ zu verwandeln). Sondern er kommuniziert auch und lernt beständig dazu: „Dieter war Made in Germany und daher von einem nachhaltigen Wissensdrang geprägt“, heißt es. Gegen Ende des Romans erfahren wir in einem Dialog, der wie eine Parodie eines solchen mit dem Computer HAL in Stanley Kubricks „2001“ wirkt, dass Dieter sogar nahe daran ist, Bewusstsein zu erlangen, oder dies zumindest vorgibt. Trotzdem wird er von Protagonisten des Romans als „Hausmeister“ und „Kleinbürger“ geschmäht.
Im Zeitalter der Muße
Dieter ist aber nur eine von vielen satirischen Science-Fiction-Zuspitzungen unserer digitalen Wirklichkeit, die Alexander Schimmelbusch sich ausgedacht hat. Die größte ist das fiktive Unternehmen Omen SE, bei dem die Protagonisten angestellt sind. Es ist von einem Berliner Start-up schnell zum „wertvollsten deutschen Unternehmen“ aufgestiegen und überflügelt mirakulöserweise selbst Konkurrenten aus dem Silicon Valley oder aus China. Erstaunlich, wie schnell die Realität hier die Gestalt der Fiktionen ändert: Bildeten in Dave Eggers’ platter Google-Satire „The Circle“ vor knapp zehn Jahren noch eine ringförmige Immobilie und ein Campus die Konzernzentrale, ist die Firma Omen SE, obwohl sie zunächst einen „Tower“ in Berlin baut, zum Zeitpunkt der Handlung längst dezentral geworden.
Die Programmierer bei Omen sind in ein „Zeitalter der Muße“ eingetreten und lassen sich’s in ihren Bungalows in der brandenburgischen Seenlandschaft gut gehen. Sie bespielen Omen-Subunternehmen wie Freudiana, „eine Coaching-Plattform für Panikmanagement und Psychotherapie“, oder Nosferatu, einen digitalen Drogenkurier, der per Drohne liefert. Oder „Kaffeehaus“, eine besonders in Amerika erfolgreiche, friedliche Social-Media-Plattform – sowie „Erda“, deren dunklen Zwilling. Die Erzählung von „Erda“ lässt auch einen Blick darauf erhaschen, wie es den meisten Menschen auf der Erde im Jahr 2033 in diesem Roman geht – sie leben in einer postmodernen Hieronymus-Bosch-Hölle.
Karl Lagerfelds Albtraum
Die Bessergestellten, also vor allem die Protagonisten, überhöhen derweil ihr hedonistisches Leben in pseudophilosophischen Apps. Die Satire gilt sowohl ihrer Verlotterung als auch ihrer Verfeinerung: Obwohl das Jogginghosen-Dasein der Führungskräfte sie als Karl Lagerfelds Albtraum erscheinen lässt, trinken (und vermarkten) sie die teuersten Weine der Welt. Lange Teile des Romans widmen sich Alkoholgenüssen oder Sportwagen.
While “Karma” is made up of a series of parodies of individual contemporary phenomena that stand well on their own, Schimmelbusch bundles them together through the overarching theme of Germanness. He had already done this in his financial world satire “Hochdeutschland” (2018); now he turns the screw even further, for example in the portrayal of the head of Omen, who values German Riesling, is once described as a “vandal princess” and criticizes the accumulation of Anglicisms in her company’s circular emails as “lower class markers”. In her speeches, she makes delicate literary allusions, for example to Ernst Jünger’s “Burgundy Scene”.
The developer Joachim (who also programmed Dieter and can be considered the mastermind of Omen) seems to have landed in the heart of German romantics and only by chance in the tech industry; his younger colleague Daniel, on the other hand, wants to drive the hippie nonsense out of the company and has fantasies of arming Germany with a nuclear second-strike weapon in order to counter “the Russians”.
Software hippies and fascists
Similar to Christian Kracht's novels, the question of the German character sometimes leads to extremely cynical reflections and historical allusions; it is made clear – sometimes very clearly – that the supposed software hippies are basically fascists or at least have totalitarian tendencies. This is shown, for example, in the plot line that sees the lesbian programming couple Frauke and Nilufar search for the best sperm to conceive the child they want.
Schimmelbusch has similarities with Michel Houellebecq, particularly in his portrayal of hedonism and decadence. As questionable as the comparison with another author may be from a literary criticism perspective, it seems compelling here, and indeed it culminates in great praise: perhaps no German-speaking author has come so close to the mastery of the French novelist of our time. In addition, “Karma” is also very successful as a genre piece of “climate fiction”.
Houellebecq's trademark (and also Bret Easton Ellis and Kracht) is a narrative voice that displays pleasurable cynicism. This is also the case here, particularly in the depiction of industrialized killing of humans and animals, beyond aesthetic and moral boundaries. The question of who actually expresses the precarious thoughts is also central to Schimmelbusch's work. But the special thing about “Karma” is that it could also be (partially) an artificial voice that narrates and poses hermeneutic puzzles in an ultimately dramatic climax.
Alexander Schimmelbusch: “Karma”. Novel. Rowohlt Verlag, Hamburg 2024. 304 pp., hardcover, 24,– €.